„Berechtigte Sorgen“

Joachim Tauber, Historiker, Direktor des Nordost-Instituts an der Universität Hamburg und Vorsitzender des Deutsch-Litauischen Forums, spricht im Interview mit deutschland.de über den schwierigen Dialog mit Russland.

deutschland.de: Herr Dr. Tauber, im Anschluss an die Mitgliederversammlung 2016 des Deutsch-Litauischen Forums hat Gernot Erler, Russland-Koordinator der Bundesregierung, zum Thema „Russland und der Westen: Von der Entfremdung zur Bedrohung der Europäischen Friedensordnung“ gesprochen. Warum ist dieses Thema für die deutsch-litauischen Beziehungen besonders wichtig?

Dr. Joachim Tauber

Dr. Joachim Tauber (C) Nordost-Institut

Die Rückkehr nach Europa, die Litauen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre erlebt hat, wird durch die aktuelle Politik des russischen Präsidenten Putin, etwa in der Ukraine-Krise, zutiefst in Frage gestellt. Es gibt im Baltikum berechtigte Überlegungen, wie weit die europäischen Sicherheitsstrukturen greifen können, um ein Vorgehen Russlands wie in der Ukraine zu verhindern. Vor diesem Hintergrund war es mir wichtig, Herrn Erler zu dem Vortrag einzuladen. Für Litauen ist es von großer Bedeutung, wie weit die vom Großteil seiner Bevölkerung mitgetragene Orientierung an Europa und seinen Werten durch konkrete Sicherheitspolitik unterstützt wird: Es darf innerhalb der Europäischen Union keine Sicherheitsordnungen zweiter Klasse geben.

deutschland.de: Die Europäische Union hat also eine besondere Verantwortung gegenüber ihrem Mitgliedstaat Litauen?

Ja, und daran hat Herr Erler in seinem Vortrag keinen Zweifel gelassen. Er hat deutlich gemacht, dass gerade die führenden europäischen Staaten Deutschland und Frankreich immer vor Augen haben müssen, dass sich die osteuropäischen Staaten mit Blick auf Russland ganz anderen Bedrohungsszenarien gegenübersehen. Umso wichtiger ist die Entscheidung Deutschlands, sich am Nato-Einsatz 2017 in Litauen zu beteiligen und ein Bataillon mit Soldaten europäischer Bündnispartner anzuführen – auch wenn es hier vor allem um eine symbolische Geste geht. Auch Herr Erler hat betont, dass die Lösung der Konflikte mit Russland nur in einem politischen Prozess zustande kommen kann.

deutschland.de: Kann denn Russland auch ein Partner für Litauen sein?

Natürlich gibt es in Litauen viele Stimmen, die sagen, dass man sich vom Nachbarn Russland nicht abschotten kann und dass ein offener Umgang wichtig ist. Es muss aber auch klar sein, dass sich Russland nicht in innere Angelegenheiten Litauens einmischen darf. Das Problem der russischen Medienkampagne, das wir auch in Deutschland und Westeuropa beobachten, ist im Baltikum noch viel stärker verbreitet. Viele Litauer schauen russisches Fernsehen und damit oft Propaganda, die sich als Unterhaltung tarnt, etwa in attraktiven Formaten wie Serien. Dieser Propaganda möchte das Deutsch-Litauische Forum mit seiner Arbeit entgegenwirken. Zugleich wollen wir auch in Deutschland mehr Verständnis dafür erreichen, dass die litauischen Sorgen angesichts der aktuellen russischen Politik berechtigt sind.

Quelle: deutschland.de